Am Wochenende haben etwa 400 Bürger auf dem Münchner Waldfriedhof die Beerdigung von Manfred Brunner besucht und von einem ganz besonderen Menschen Abschied genommen. Er war ein „homo politicus“, der aber die politische Karriere nie über seine Ideale stellte und der bemerkenswert freundlich seinen Mitmenschen gegenüber war. Manfred Brunner war ein gebildeter Liberaler, ein Patriot, ein kritischer, mutiger Europäer, ein guter Redner, ein Christ, ein liebender Vater und Großvater.
Für viele Menschen war er ein Freund, für einige ein Vorbild. Auf dem Waldfriedhof waren neben seiner Familie Prominente aus Politik und Medien zugegen. Mehrere Bundestagsabgeordnete waren dabei, zudem der Vorstandsvorsitzende von Europas größtem Verlagskonzern, mit dem er persönlich befreundet war. Selbst politische Gegner haben Manfred Brunner bescheinigt, dass er auch im harten Streit noch immer das Gegenüber als Mensch respektiert hat. Der Münchner Oberbürgermeister schrieb in einem Kondolenzschreiben an die Familie von seiner „Aufrichtigkeit, Streitbarkeit und Nahbarkeit“.
In Wahrheit hat Manfred Brunner nicht nur ein Leben, sondern drei Leben gelebt: Einmal die Zeit als aufstrebender Politiker der Liberalen, dann der Konflikt mit dem Establishment, was zum Verlust seiner gesellschaftlichen Stellung führte, zuletzt die Heimkehr zu sich selbst, als Wanderer durch Italien, als spiritueller Wanderer nach Rom, als Großvater, der mit seiner Enkelin jeden Vormittag Kuchen essen ging.
Aufgewachsen in einer liberalen Familie, sein Großvater war bayerischer Schatzmeister der FDP, hat Brunner in den Nachkriegsjahren Prominente wie Thomas Dehler und Theodor Heuss kennengelernt. Besonders der nationalliberale Dehler hat ihn geprägt. In den siebziger Jahren engagierte sich der Jurastudent und dann junge Rechtsanwalt bei den Jung-Demokraten. Er wurde schon 1972 in den Münchner Stadtrat gewählt, blieb dort bis 1987 aktiv, dann wieder in den neunziger Jahren. In den achtziger Jahren wurde Brunner bayerischer FDP-Vorsitzender. Weil er einen bürgerlich-rechtsliberalen Kurs bevorzugte, geriet er in Konflikt mit der linksliberalen Hildegard Hamm-Brücher. 1989 wurde Brunner nach Brüssel befördert als Kabinettschef des EU-Binnenmarktkommissars Bangemann.
Allerdings hat die Brüsseler Erfahrung ihn schnell ernüchtert. Brunner war stets ein überzeugter Europäer. Er liebte andere europäische Länder, vor allem Italien, aus ganzem Herzen. Doch den Maastricht-Vertrag, der die Aufgabe der D-Mark und die Schaffung einer Einheitswährung vorbereitete, hat er als Fehler abgelehnt. Eine Einheitswährung für zu unterschiedliche Länder könne nicht gutgehen, glaubte er. Mit seiner öffentlichen Kritik am Maastricht-Vertrag zog er den Zorn Helmut Kohls auf sich. 1992 schied er im Protest aus der Kommission aus, bevor er entlassen werden würde. Brunner gründete die Stiftung Demokratie und Marktwirtschaft, dann eine Kleinpartei namens Bund Freier Bürger. Dieser politische Neustart blieb erfolglos.
Seine Verfassungsbeschwerde 1994 in Karlsruhe gegen den Maastricht-Vertrag blieb vordergründig auch erfolglos, doch das Urteil zog wichtige Haltelinien ein, die eine völlige Aufgabe von Deutschlands Souveränität und Staatlichkeit verbieten.
In den neunziger Jahren kämpfte Brunner mit dem BFB einen Kampf David gegen Goliath, gegen die Union von Helmut Kohl, gegen Brüssel. Er wurde an den rechten Rand gedrängt, aus dem Establishment ausgestoßen, nicht wenige (falsche) Freunde wandten sich ab. Auch finanziell hat er zuletzt fast alles verloren, weil er für ein Millionen-Darlehen an die Partei persönlich gebürgt hatte. Einige Jahre lebte er nur mit einem finanziellen Minimum.
Er nutzte diese Zeit, um auf den Spuren Goethes durch Italien zu reisen, fast wie ein mittelalterlicher Wanderer. Er nahm exakt jene Route, die auch der von ihm geliebte Dichter bereist hatte, übernachtete teils in Klöstern. In dieser Zeit hat sich Brunner, der einst evangelischer Synodaler war, langsam dem Katholizismus angenähert. Brunner war mit sich und der Welt im Reinen, auch wenn er von Zeit zu Zeit noch kritische Leserbriefe oder Artikel schrieb, teils auch als Ghostwriter für CSU-Abgeordnete. Er pflegte auch weiterhin seine Freundschaften etwa zu Helmut Markwort, dem Focus-Gründungsherausgeber, oder Matthias Döpfner – beide haben zu ihm gehalten, als andere sich abwandten.
Wir haben ihn im vergangenen Sommer am Staffelsee getroffen, wo ich ihn nach vielen Jahren wieder einmal traf. Er war sofort meiner Frau und meinen kleinen Kindern herzlich zugetan. Eine Stunde fuhren wir bei strahlendem Sonnenschein auf dem Boot über den See, dann gab es vorzüglichen Apfelkuchen aus der Dorfbäckerei. Kurz darauf hat Brunner seinen 70. Geburtstag gefeiert. Brunner liebte das Leben. Er war herrlich spontan, witzig, immer großzügig, manchmal auch ein Chaot. Als Parteiführer war er wohl nicht geeignet, weil er einfach zu sehr an das Gute in den Menschen glaubte und nicht erkannte, dass es auch viele andere Charaktere gibt.
Vor zehn Tagen ist Manfred Brunner völlig überraschend an einem Herzinfarkt gestorben. Er hinterlässt seine Frau, drei Kinder und einige Enkelkinder. Bei der Beerdigung (an der ich wegen einer Portugal-Reise leider nicht teilnehmen konnte) wurden die Enkel gefragt, was sie dem verstorbenen Großvater wünschen. „Dass er immer genug Kuchen im Himmel hat“, sagte seine Enkeltochter. Der andere wünschte sich aber einfach, dass der Opa doch bitte zurückkommen möge. Ich bin sicher, es wird ein Wiedersehen geben!