Thomas Sowell, einer der wichtigsten afro-amerikanischen Ökonomen, steht quer zum Zeitgeist.
Die „Black Lives Matter“-Bewegung hat in Amerika und auf der ganzen Welt einen neuen Rassismusstreit angefacht: Ein breiter Strom von Aktivisten und Politikern beklagt strukturellen Rassismus, Diskriminierung und Benachteiligungen von Schwarzen, die niedrigeren Einkommen und hohen Inhaftierungszahlen. Kulturelle und soziale Faktoren auch innerhalb ihrer Milieus werden hingegen kaum diskutiert, etwa der hohe Anteil an zerbrochenen Familien, hohe Schulabbrecherquoten, Drogen-, Macho-, Gangsterrap-Kultur und grassierende Gewaltkriminalität in vorwiegend afroamerikanischen Stadtvierteln.
Ein Mann, der sich fast sein ganzes Leben als Betroffener, als Ökonom, Soziologe und Historiker mit den Fragen beschäftigt, warum es Ungleichheiten und Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen gibt, ist Thomas Sowell. Sowell war einer der ersten bekannten schwarzen Wirtschaftsprofessoren in den Vereinigten Staaten und jahrzehntelang Zeitungskolumnist, noch heute hat er eine große Fangemeinde. Seit seiner Doktorarbeit an der Universität Chicago im Jahr 1968 hat er an renommierten Hochschulen wie die Universität von Kalifornien in Los Angeles gelehrt, zuletzt forschte er an der Hoover Institution der Stanford Universität. Er hat eine beeindruckende Reihe von fast dreißig Büchern geschrieben.
Der Chicago- und Standford-Ökonom John Cochrane meinte jüngst in seinem Blog, anlässlich eines Artikels im „City Journal“ zu Sowells 90. Geburtstag, wenn das Stockholmer Komitee der Schwedischen Wissenschaftsakademie nach einem schwarzen Kandidaten für den Nobelpreis in diesem Herbst suche, sollte es ernsthaft über Sowell nachdenken.
Das wird wohl nicht passieren, denn Thomas Sowell steht quer zum Zeitgeist. Er ist ein scharfer Kritiker schwarzer Klischeepolitik ist. Harte Worte hat er gegen „Progressive“, die überall Rassismus wittern. „Das Wort Rassismus ist wie Ketchup, man kann es praktisch auf alles draufschmieren – und wenn man nach Belegen fragt, macht einen das zum Rassisten“, schrieb Sowell. Seiner Meinung nach ist der Rassismus-Vorwurf oft nur ein politisch-ideologisches Schlagwort, eine billige Keule, die kompliziertere Argumente abwehren soll.
Sowell weiß selbst nur zu gut, wie schwer es Schwarze in den Vereinigten Staaten hatten und haben. Die Karriere zum Wirtschaftsprofessor war ihm nicht in die Wiege gelegt. Sein Lebensweg, den er in „A Personal Odyssey“ beschreibt, begann 1930 in North Carolina in einem Ort mit fast nur afroamerikanischer Bevölkerung, in jungen Jahren wurde er Halbwaise. Eine Großtante adoptierte ihn, zog mit ihm nach New York, dort wuchs er im Ghettoviertel Harlem auf. Als Teenager war er regelmäßig Opfer von Schlägerbanden, mit der Tante verkrachte er sich. Die Schule brach er ab, ging zum Militär, arbeitete als Photograph.
Erst auf dem zweiten Bildungsweg kam er an ein „schwarzes“ College, schließlich nach Harvard. Der junge Ökonom arbeitete im Arbeitsministerium, wo er die schlechte Wirkung eines hohen Mindestlohnes auf die Beschäftigungschancen junger Schwarzer erkannte. Als junger Mann war er Marxist, in Chicago wurde er zum Liberalen. Vor allem George Stigler, Milton Friedman, Gary Becker sowie Friedrich August von Hayek haben sein marktwirtschaftliches, staatsskeptisches Denken geprägt.
Seit den siebziger Jahren hat er sozio-ökonomische und demographische Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen untersucht, daraus gingen Bücher wie „Race and Economics“, „Ethnic America“ und „The Economics and Politics of Race“ hervor. Sowells Erkenntnis: Es ist falsch, nur Unterschiede zwischen „Weißen“ und „Schwarzen“ zu betonen, es gibt auch große sozio-ökonomische Unterschiede zwischen und innerhalb anderer Gruppen. Juden, die im späten 19. Jahrhundert mittellos aus Osteuropa nach Amerika kamen, schafften es trotz antisemitischer Diskriminierungen ganz nach oben. Auch chinesische Arbeiter-Immigranten in Kalifornien sowie die Japaner, die im Zweiten Weltkrieg massenhaft interniert waren, verdienten später deutlich mehr als der Durchschnitt. In vielen anderen Ländern gelang es Minderheiten, sehr erfolgreich zu sein.
Die Gründe dafür waren vielfältig, teils liegt es an historischen Zufälle, wann und wie Einwanderer in ein Land kamen und wo sie siedelten, ob in prosperierenden oder absteigenden Regionen. Ein Schlüsselwort für den Aufstieg lautete aber meist „Humankapital“ – Talent, Bildung und Fleiß. Gleichzeitig ist es ein Faktum, dass eher ärmere Bevölkerungsschichten eine größere Kinderzahl haben, betont Sowell. Das kann einen negativen Kreislauf in Gang setzen: Viele Kinder, schlechte Ausbildung, wenig Einkommen, hohe Delinquenz, zerbrochene Familien etc..
Seit den sechziger Jahren unternahmen amerikanische Regierungen, angefangen mit dem Demokraten Lyndon B. Johnson, den Versuch, durch eine umgekehrte oder „positive“ Diskriminierung mehr Schwarzen Universitätskarrieren zu ermöglichen; zudem gibt es Gesetze, dass Unternehmen von Minderheiten bei Staatsaufträgen bevorzugt werden. Sowell hat in seinem Buch „Affirmative Action around the World“ (2004) gezeigt, dass solche Quoten- und Positiv-Diskriminierungspolitik, die auch in Staaten wie Malaysia, Sri Lanka, China und Nigeria praktiziert wird, nicht die gewünschten Resultate bringt. Stattdessen ruft sie viel böses Blut und Klagen über Ungleichbehandlungen hervor. Von den Staatsaufträgen profitiert oft eine kleine Schicht bevorzugter Minderheits-Millionäre, nicht die Masse der Benachteiligten. Und werden gering-qualifizierte schwarze Bewerber per Vorzugsbehandlung an Eliteuniversitäten geholt, scheitern sie oft, die Studiumsabbrecherquoten sind hoch.
Sowell hält nichts von umgekehrt rassistischer Quotenpolitik. Stattdessen plädiert er leidenschaftlich für ein besseres Schulsystem, zuletzt in seinem vor kurzem erschienenen Buch „Charter Schools and their Enemys“. Charterschulen sind Schulen in freier, privater Trägerschaft, die vom Staat (mit-)finanziert werden. Sowell zeigt, wie solche freien Schulen – gerade auch für schwarze Kinder – bessere Resultate erzielen. Der konservative Ökonom wettert gegen linke Lehrergewerkschaften und Politiker, die solchen privaten Schulinitiativen behindern. Eine verfehlte „progressive“ Bildungs- und Sozialpolitik sei es, die gerade Kinder aus bildungsschwachen, schwarzen Familien im Abseits gefangen halte. Nicht Rassismus, sondern – oft gut gemeinte – falsche Politik ist seiner Meinung nach das Hauptproblem. Dem aktuellen Rassismusstreit täte es gut, die Perspektive zu ändern.
Coleman Hughes: The Nonconformist (Porträt über Thomas Sowell), in City Journal, Sommer 2020.