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Im Gedenken an Thilo Thielke

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Wie ein Schlag hat uns die Nachricht getroffen, dass mein Kollege, der Afrika-Korrespondent Thilo Thielke plötzlich und unerwartet verstorben ist. Gerade einmal 52 Jahre alt wurde er. In der vorvergangenen Nacht ist er in Tansania an einem Herzinfarkt gestorben. In Tansania besaß er seit sieben Jahren eine Lodge, ein kleines Hotel, nicht weit vom Kilimandscharo. Er hinterlässt seine Ehefrau und zwei minderjährige Kinder. Ihnen gilt mein tiefes Mitgefühl.

Wir wollten uns letztes Jahr noch in London treffen, haben uns knapp verpasst. In dieser Woche hatten wir eine gemeinsame Geschichte über Elfenbeinschmuggel und die Elefanten-Massaker der Wilderer vorbereitet. Das Überleben der Dickhäuter lag ihm am Herzen. „Am nächsten Montag könnte ich rausfahren in den Amboseli-Korridor. Dabei geht es darum, freie Korridore für die Elefanten aus dem relativ vollen Amboseli-Park in Kenia ins tansanische Kilimandscharo-Ökosystem zu schaffen“, schrieb er mir vor zwei Tagen. Daraus wird jetzt nichts mehr.

Thilo Thielke, geboren 1968 in Hannover, war ein außergewöhnlicher, furchtloser Reporter, ein Afrika-Korrespondent aus Leidenschaft. (Hier einige seiner Texte für die FAZ). Ja, Afrika lag ihm am Herzen, wie es jetzt im Nachruf heißt.

Er hat mich mit seiner offenen, sprudelnden Redeweise, seinen Erfahrungen und Berichten tief beeindruckt. Viele Journalisten fand er zu links und blauäugig. Über führende Nachrichtenmagazine und Zeitungen äußerte er sich zuweilen verächtlich; er hatte ja selbst fast zwei Jahrzehnte bei einem Nachrichtenmagazin in Hamburg gearbeitet, zu dessen Stars ein Herr Relotius zählte, und kannte als Insider, wie Geschichten mit dem richtigen Dreh gestrickt wurden. Lieber als den „Spiegel“ las er die „Weltwoche“ oder die „Achse des Guten“, für die er auch gelegentlich zur Feder griff (siehe hier und hier). Angela Merkels Politik der offenen Grenzen in der “Flüchtlingskrise” hielt er für fatal.

Thielke hat als Reporter viel Schreckliches gesehen. 1990 entdeckte er in Rumänien ein Kinderheim, in dem geistig behinderte Kinder und Jugendliche unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten wurden und einige starben. Später hat er für Spiegel-TV vom Balkan berichtet und grauenhafte Dinge, Massengräber etc. gesehen. Dann war er jahrelang in Nairobi, Bangkok und Kapstadt, zuletzt berichtete er seit 2018 als freier Autor für die F.A.Z. über ganz Subsahara-Afrika.

Als Anfang 2019 somalische islamistische Terroristen ein Hotel in der kenianischen Hauptstadt Nairobi überfielen und rumballerten, setzte sich Thielke kurzentschlossen ins Flugzeug und interviewte vor Ort schon Überlebende, als noch die letzten Schüsse der Al-Shabaab-Mörder knallten. Als es dann im Sudan krachte, flog Thielke hin und war bald in Khartum mittendrin, fuhr mit einem Fahrer zu Anti-Al-Bashir-Protesten und Straßenunruhen, sah brennende Barrikaden, hörte die Kugeln fliegen.

Er hat auch zahlreiche Reise-Bücher geschrieben, über Kenia, Tansania, die Philippinen und den bewegenden Bestseller „Eine Liebe in Auschwitz“ über die spektakuläre Flucht einer polnischen Jüdin und ihres Geliebten aus dem NS-Vernichtungslager und ihre tragische folgende Geschichte. Thielke schrieb auch Bücher über Fußball. Er war ein wunderbares Multitalent.

Der deutschen Heimat blieb er verbunden, auch wenn er sich der deutschen Politik und Gesellschaft immer mehr entfremdet fühlte. Thielke war ein konservativ-libertärer Marktwirtschaftler, ein Freidenker, ein Amerika- und Israel-Freund. Die Linksdrift der Parteien und vieler Medien hat er höchst skeptisch gesehen. Über den Gender-Irrsinn schüttelte er den Kopf. Grünlinke „woke“ Europäer, die sich in vermeintlich humanistischer Weise für eine Politik der offenen Grenzen und massenhafte Einwanderung für Afrikaner einsetzten, fand er gefährlich naiv. Wollte Europa wie Afrika werden? Mehr und mehr Parallelgesellschaften wie in Frankreich, dessen nordafrikanisch-arabische Banlieue-Vorstädte zunehmend islamisiert werden? Mehr Kriminalität? Das idealisierte Selbstbild der „Regenbogennation“ Südafrika fand er verlogen. Die Gewalt gegen weiße Farmer in Südafrika oder Zimbabwe hat er nicht verschwiegen.

Thilo Thielke hat die Probleme des Kontinents, die Korruption und Misswirtschaft der Potentaten, die sich Entwicklungshilfe-Geld in die Taschen steckten, das verbreitete Chaos und die lähmende Bürokratie, die hartnäckige Unbildung und den verbreiteten Aberglauben der Massen illusionslos beschrieben. Warum Afrika arm ist? Zu viel Korruption und zu viel Sozialismus, sagte er mir. Aktuell war er in Sorge, dass der „Medienhype“ um Corona zu extrem harten Lockdowns in Afrika führt, die viel schlimmere Auswirkungen haben als die eigentliche Krankheit, die nur relativ wenige Tote in Afrika fordert. Die schwere Wirtschaftskrise fordert Hunderttausende Tote; dass der Safari-Tourismus zum Erliegen kommt, bedrohte auch seine Lodge. Er fragte sich, wie er die Angestellten noch bezahlen sollte.

Wir haben häufiger Stücke gemeinsam geschrieben. Mal über hochverschuldete Länder des Kontinents, mal über den Einfluss der Chinesen, mal über Handel und Infrastruktur, mal über Wilderei und Schmuggel. Thilo Thielke war der bessere Schreiber von uns beiden, seine Passagen waren die spannenderen, lebensnahen. Ich habe mehr die Zahlen und volkswirtschaftliche Zusammenhänge beigetragen.

Wenn wir telefonierten, hörte ich im Hintergrund oft Tierstimmen, irgendwelche Vögel oder Affen schreien. Es waren Klänge aus einer anderen, exotischen Welt.

Lieber Thilo Thielke, ich möchte mich verneigen vor einem großartigen Journalisten und Kollegen. Ich werde Sie vermissen.