Nach den Turbulenzen ist ein guter neuer Vorsitzender gefunden worden.
Um ein Haar wäre die Hayek-Gesellschaft vor ein paar Wochen zerbrochen. Die damalige Vorsitzende ist medienwirksam mit einigen anderen Mitgliedern ausgetreten und hat seitdem kräftig medienwirksam nachgetreten. Es ging gegen „Reaktionäre“, die sich in der Hayek-Gesellschaft angeblich breitgemacht hätten. Der Verein, dem zuvor 350 Wissenschaftler, Unternehmer, Publizisten, Studenten und einfach engagierte liberale Bürger angehörten (darunter auch der Autor dieser Zeilen), verlor rund 60 Mitglieder, darunter viele gute Leute. Das war ein wirklich schmerzhafter Verlust – und es war unverständlich und unnötig, denn der Streit war an den Haaren herbeigezogen.
Viele der Ausgetretenen haben den Konflikt zwischen der Vorsitzenden und dem Sekretär der Gesellschaft (darum ging es im Kern), der sich vor und während der Leipziger Mitgliederversammlung am 25./26. Juni zuspitzte, nur vom Hörensagen gekannt und sich dann von der ausgetretenen Vorsitzenden einseitig beeinflussen lassen. Beispielsweise wusste FDP-Chef Lindner überhaupt nichts von den internen Vorgängen und hat die Mitgliederversammlung in Leipzig, auf der durchaus lebhaft und zum Teil auch ruppig debattiert wurde, nicht besucht. Und trotzdem ist er ausgetreten und hat mit seinem Austritt das Signal gegeben, dass die Hayek-Gesellschaft jetzt irgendwie „bäh“ sei.
Das fanden viele übel. Das Verhalten der ausgetretenen Vorsitzenden Karen Horn kann man mit rationalen Kategorien kaum noch begreifen. Sie hat sich mit immer schrilleren Anklagen in etwas hineingesteigert, was tatsächlich eine „Phantomdebatte“ war, und verlangte, dass alles, was nicht anschlussfähig ist an einen weichgespülten Linksliberalismus-Mainstream, verbannt werden müsse. Gott sei Dank hat sich die große Mehrheit der Mitglieder von den Turbulenzen nicht abschrecken lassen. Beispielsweise hat Gerhard Papke, lange Jahre der FDP-Fraktionsvorsitzende im NRW-Landtag, die Hayek-Gesellschaft dezidiert in Schutz genommen, auch als sein Parteivorsitzender den Verein im Regen stehen ließ.
Nun wurde ein neuer Vorsitzender gewählt: Der Ökonom Wolf Schäfer, emeritierter Professor von der Helmut-Schmidt-Universität, der vor allem über Währungsfragen sowie über „politische Ökonomie“ geforscht hat. Hayek hat Schäfer mehrfach getroffen, einmal bei einem Vortrag am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), bei dem der Keynesianer Erich Schneider, dessen Assistent Schäfer damals war, auf Hayeks Vortrag über den „Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“ äußerst griesgrämig reagierte und Hayek aufforderte, seine Theorie doch jetzt einmal mit einem Koordinatensystem und einer Kurvendiskussion darzustellen. Auf der Mitgliederversammlung in Fulda an diesem Samstag (5. September) haben etwa 90 anwesende Vereinsmitglieder Prof. Schäfer fast einstimmig (bei wenigen Enthaltungen, u.a. von mir) an die Spitze des Gesellschaft gewählt. Zum stellvertretenden Vorsitzenden wurde der Düsseldorfer Rechtsanwalt Carlos Gebauer bestimmt.
Schäfer ist ein sehr bedächtiger Hanseat mit einem ausgleichenden Temperament, der aber einen Standpunkt auch mit Nachdruck verteidigen kann.
Er hat den Mitgliedern als Botschaft mitgegeben: Man muss jetzt nach vorne schauen und die Querelen und die Schlammschlacht der Vergangenheit hinter sich lassen. Ein Aufbruchsignal war auch, dass rund 30 neue Mitglieder eingetreten sind und aufgenommen wurden, lauter respektable Leute (besonders interessant die schon 93-jährige einstige Pressereferentin von Ludwig Erhard, die Journalistin Gräfin von Schlippenbach). In der Aussprache wurde deutlich, dass bei einigen der Verdruss über die mediale Diffamierung durch die ausgetretene ehemalige Vorsitzende tief sitzt. Aber man hat sie dann doch (sehr knapp) als Vorstand entlastet, auch alle anderen früheren und aktuellen Vorstandsmitglieder wurden vereinsrechtlich entlastet. Der Streit der Vergangenheit soll jetzt wirklich ruhen.
Schäfer hat er versprochen, sich um zwei Zielgruppen mehr zu bemühen: Unternehmer und junge Leute. Die Politik, sagte Schäfer, versündige sich an der jüngeren Generation und kommenden Generationen, indem sie zu viele Ressourcen zugunsten der alternden Gesellschaft und der Rentner umverteile und zu wenig an die Zukunft denke. Polit-ökonomisch ist das verständlich, weil Kinder und Ungeborene keine Stimme bei den Wahlen haben, stattdessen das Gewicht der mehr als 20 Millionen Rentner bei Wahlen immer mehr wächst. Ein Vorschlag in Fulda war auch, sich wieder mit Ansätzen für eine Demokratiereform zu befassen. Hayek hatte dazu einige Ideen mit einem Zwei-Kammern-System. Aber man könnte auch über ein Familienwahlrecht sprechen, finde ich.
Als zweiten inhaltlichen Schwerpunkt nannte Schäfer die zunehmende Tendenz zur Zentralisierung in Europa. Das im EU-Vertrag festgeschriebene Prinzip der Subsidiarität werde überhaupt nicht ernst genommen. Dabei ist das Subsidiaritätsprinzip (das ursprünglich aus der katholischen Soziallehre stammt) ein unverzichtbarer Grundsatz, um Entscheidungen nicht nur bürgernah, sondern kompetent zu fällen. Schäfer formulierte es ökonomisch-theoretisch so: Wo liegen die komparativen Vorteile bei der Entscheidungsfindung? Da das meiste Wissen dezentral verstreut ist (eine Kerneinsicht Hayeks), wäre es richtig, die Entscheidungen über Problemlösungen dezentral, also auf der untersten möglichen Ebene zu fällen – dort, wo die Probleme auftauchen.
Nicht alle Fragen und Probleme, die in Europa auftreten, müssen „europäisch“ (als durch die Brüsseler Kommission oder durch den Ministerrat) gelöst werden. Die Vielfalt Europas kann und muss sich auch in vielfältig unterschiedlichen Wegen – jeweils den vorherrschenden regionalen oder nationalen Präferenzen entsprechen – ausdrücken können. Nur bei Problemen mit wirklich grenzüberschreitenden externen Effekten muss eine supranationale Lösung gefunden werden.
Statt der „immer engeren Union“ (Vertrag von Lissabon), was in Wahrheit eine immer zentralistischere Union meint, muss man anfangen, über die Rückverlagerung von Kompetenzen zu sprechen, einige an die Nationalstaaten, andere an noch kleinere Einheiten und Körperschaften wie die Bundesländer, die Kommunen etc.. Und Schäfer hat völlig recht, dass dies überhaupt nichts mit Nationalismus zu tun hat. Sondern es hat mit dem Willen zu tun, die Freiheit nicht auf dem Fetisch-Altar einer „EU“ zu opfern, die einiges Gutes, aber auch manches Zweifelhafte für die Bürger und die europäischen Völker bewirkt hat. Die hayekianische Stimme sollte in der europäischen Debatte mehr gehört werden.
Als weitere Themen hat Schäfer kurz die Migration und den Wettbewerb der Ordnungssysteme angesprochen. Angesichts der Massenmigration ist die Frage, wie Liberale sich dazu stellen, ein hochbrisantes Thema. Auf den Leipziger Hayek-Tagen gab es dazu eine spannende Diskussion. Prof. Weede warnte vor einer Einwanderung in die Sozialsysteme. Andere meinten, man könnte eine Belastung des Sozialstaats vermeiden; Migration sei eine Win-Win-Geschichte für alle Seiten. Aber das stimmt wirklich nur dann, wenn sie gewaltfrei und ohne Verzerrung durch finanzielle Anreize des Sozialstaats abläuft und wenn die Neuankömmlinge keine kulturellen Prägungen mitbringen, die die freiheitliche Ordnung des Aufnahmelandes gefährden können. Ich bin sehr skeptisch, ob es angesichts der überwiegend muslimischen Massenmigration nicht doch eines Tages so weit kommen kann.
Auch jeden Fall ist es gut, dass die Hayek-Gesellschaft nun einen Vorsitzenden hat, der offene und freie Debatten führen, keine Ausgrenzung betreiben und keine Denkverbote aufstellen will. Für eine liberale Gesellschaft sollte das ja eigentlich auch selbstverständlich sein.
P.S.:
Hier hat Wolf Schäfer vor einigen Tagen selbst über den unnötigen Streit geschrieben und die unnötige Abgrenzungsmanie von Rechtsliberalen – vor allem wenn man bedenkt, dass der Zeitgeist so überwältigend links steht… Schäfers Text ist sehr zu empfehlen!